Apostel Harburg

Philipper 2, 6-11

Wer von Euch ist eigentlich ein geduldiger Mensch?
Also, ich jedenfalls bin manchmal sehr ungeduldig…
Ich habe zum Beispiel die „Fähigkeit“ zu erahnen, was mir jemand sagen möchte.
Und wenn er das manchmal sehr - sehr langsam tut, dann neige ich dazu, die Sätze meines Gegenübers für ihn zu beenden.
Kennst Du solche Menschen, die so etwas tun?
Gar keine nette Eigenschaft – und manchmal merke ich das auch und habe mich dann im Griff.

Ja, ich bin ungeduldig. Früher bekam ich immer ganz schlechte Laune, wenn ich mich in der falschen Supermarktschlange an der Kasse angestellt hatte.

Mittlerweile bin ich da etwas gelassener – außerdem kann ich jetzt aus der Küche im Beerentalweg sehen, ob der Penny gerade voll oder leer ist J
Ich erzähle das nur beispielhaft von mir, weil ich denke, dass Ungeduld im Alltag ziemlich verbreitet ist.

Und ich glaube in bezug auf Gott ist die Ungeduld unglaublich verbreitet. Schon in den Psalmen kann man lesen: „Herr, wie lange noch?!“
Ich habe mir mal Gedanken gemacht, woran diese Ungeduld eigentlich liegen könnte.
Und ich glaube, wir sind oft ziemlich ungeduldig, weil wir in unserem kleinen, menschlichen Horizont denken.

In der Predigt soll es heute deshalb um christliche Horizonterweiterung gehen.
Dazu wollen wir auf eine schöne weisheitliche Geschichte hören und auf einen großen biblischen Hymnus aus dem Philipperbrief von Paulus.

Ich möchte mit der eindrücklichen Geschichte beginnen, die ich vor kurzem gelesen habe.
Ich hoffe, dass sie uns verdeutlicht, wie lange Zeit Gott manchmal verstreichen lässt, bis er seinen Plan mit uns Menschen Wirklichkeit werden lässt.

Vielleicht hilft sie uns auch dabei, dass wir es lernen, geduldiger zu sein in bezug auf Gott uns selbst und die anderen Menschen.

Die Geschichte heißt:
Die Geschichte von der Krippe und den Kreuzen:
Zwischen Jerusalem und Bethlehem fällte ein junger Zimmermann einen Baum.
Seit Generationen war der Beruf des Zimmermanns immer auf den Sohn vererbt worden.
Seit Generationen schon gehörte seiner Familie das kleine Waldstück zwischen Bethlehem und Jerusalem.
Immer, wenn er Holz brauchte, ging er in den Wald und fällte einen Baum.
Das tat er auch an diesem Tag vor etwa 2000 Jahren.

Diese Zimmermannsfamilie hatte sich seit Generationen angewöhnt, sofort einen neuen Baum zu pflanzen, wenn sie einen gefällt hatten. (Ökologisch wertvoll, oder? J)
Sie nahmen dann eine Baumfrucht von einem gefällten Baum und setzten sie in die Erde, genau an der Stelle, wo der alte Baum stand. So sollte das Leben der Bäume in ihren Nachkommen weitergehen.

Der Zimmermann hatte seinen Baum gefällt und begann nun, aus ihm Bretter zu sägen. Futtertröge für die Ställe von ein paar kleinen Bauern sollte er machen,
aber auch für einige Herbergen, die sich auf den erwarteten Ansturm in wenigen Wochen rüsteten.
Zur Volkszählung sollten viele Leute nach Bethlehem kommen, und die brachten ja Tiere mit, die auch eine Bleibe brauchten.
So wurde auch die eine oder andere Futterkrippe benötigt.
Als die Tröge fertig waren, brachte er sie zu den Bauern und Herbergen.
Der Wirt einer kleinen, armseligen Herberge konnte die Krippe nicht bezahlen.
Er bat um Aufschub, bis die ersten Gäste gekommen waren und etwas gezahlt hatten.
Der Zimmermann versprach, bald nach Beginn des erwarteten Ansturmes zu kommen und sein Geld abzuholen.
So vergingen die Wochen und so verging auch die Nacht, in der eine einfache Frau ihr Kind in der Herberge bekam und es in die unbezahlte Krippe legte.

Maria und Josef mussten ihren Aufenthalt in Bethlehem wegen der Geburt des Kindes verlängern und weil sie die Gelegenheit nutzen wollten, ihr Kind in Jerusalem im Tempel segnen zu lassen. Und so blieben sie erst noch eine Weile in Bethlehem, da eine Herberge in Jerusalem zu teuer gewesen wäre.

Der Zimmermann kam nun zu dem Wirt, um sein Geld für die Krippe abzuholen.
Der Wirt erzählte ihm, dass seine Krippe jetzt als Wiege für ein seltsames Kind benützt würde. Der Wirt hatte nämlich bemerkt, dass von den Feldern vor der Stadt Hirten gekommen waren, um das Kind anzubeten. Neugierig ging der Zimmermann auch in den Stall, um zu sehen, was denn da in seinem Futtertrog lag.

Auch er fand Maria und Josef und das Kind in der Krippe und wunderte sich über diese Menschen.
Denn Maria erzählte ihm von den Worten, die die Hirten über das Kind in der Krippe gehört hatten: "Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids."
Der Zimmermann staunte: Das sollte der erwartete Heiland sein?
Dies kleine Kind, das da in seiner unbezahlten Krippe lag mitten in einem Stall einer armseligen Herberge?
Der Zimmermann konnte und wollte es nicht glauben.

Dreißig Jahre später:
Der Zimmermann ist alt geworden.
Aber er hat jetzt einen erwachsenen Sohn, der ihm hilft.
Der Vater hatte dem Sohn erzählt, was er vor 30 Jahren in Bethlehem gesehen hatte. Mittlerweile hatten sie von dem jungen Mann gehört, der damals im Stall geboren wurde und heute als armer Wanderprediger durch die Gegend zog und viele Freunde um sich scharte.
So arm wie er als Kind in der Krippe war, so arm war er geblieben.




Er fuhr in Booten über den See, die anderen gehörten.
Er verteilte Brot und Fische, die anderen gehörten.
Er ritt auf einem Esel in die Stadt, der einem anderen gehörte.
Er feierte in einem Haus, das einem anderen gehörte.





Doch machte er viele reich:




Die Ehebrecherin, die ihrer Verurteilung entkommen konnte.
Den Blinden an der Straße, dem er die Augen auftat – für Gott und die Welt.
Er machte den Zöllner Zachäus reich, der ihn mit Freuden aufnahm und sein halbes ergaunertes Vermögen verschenkte.
Und er bereichert die Samariterin am Brunnen, die in ihm den Heiligen Gottes erkannte.





Der Zimmermann hatte wieder einen Auftrag bekommen.
Er machte sich mit seinem Sohn auf zu dem kleinen Wald, in dem er seine Bäume immer noch fällte und pflanzte.
Der alte Zimmermann wusste ganz genau, welcher Baum nun zu fällen war.
Für den Auftrag, den er jetzt von den Römern hatte, brauchte er einen kräftigen Baum, etwa 30 Jahre alt musste er sein.
Und so fällte er genau den Baum, den er vor 30 Jahren gepflanzt hatte.
Er fällte den Nachkommen des Baumes, aus dem er die Krippe gemacht hatte.
Jetzt sollte aus dem gleichen Holz ein Kreuz gemacht werden.
Der Zimmermann fällte den Baum und nahm wieder eine Frucht dieses Baumes und pflanzte sie in die Erde.

Er sägte mit seinem Sohn starke Bohlen aus dem Baum und bereitete sie so vor, dass sie zu einem Kreuz zusammengefügt werden konnten. Dann brachten sie die fertigen Bohlen nach Jerusalem zur Hinrichtungsstätte Golgatha.

Bald hing der Heiland am Kreuz, das aus dem gleichen Holz gemacht war, wie vor 30 Jahren auch die Krippe.
Wie damals im Stall so war er auch hier auf Golgatha nackt und bloß.
Der alte Zimmermann dachte: Das Holz des Baumes aus meinem Wald und meine Arbeit haben ihn begleitet vom ersten bis zum letzten Atemzug.
Was ist nur geworden aus der hoffnungsvollen Nacht, aus der Familie im Stall,
aus den Worten, die Maria dem Zimmermann berichtete:
"Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids."?

Fünf Jahre später:
Der Zimmermann hatte wieder einen Auftrag aus Jerusalem bekommen.
Es war ein kleiner Auftrag, den er alleine ausführte.
Er sollte wieder ein Kreuz machen, aber keins, an dem man einen Menschen aufhängen kann.
Es sollte kleiner sein und schön gearbeitet und mit einem Fuß versehen,
damit man es auf den Boden stellen kann.
Der alte Zimmermann ging also wieder in seinen Wald.
Diesmal musste der Baum kleiner sein, etwa 5 Jahre alt.
Er fällte den kleinen Baum, der ein Nachkomme von dem Krippen- und dem Kreuzbaum war.
Wieder pflanzte er eine Frucht an die gleiche Stelle.
Und dann machte er ein Kreuz und brachte es nach Jerusalem zu dem Versammlungsraum der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem.
Als er das Kreuz ablieferte, begann gerade der Gottesdienst der christlichen Gemeinde.

Neugierig blieb der Zimmermann aus Bethlehem bei den Christen und verfolgte interessiert den Gottesdienst.
Ihn hatte nun seit über 35 Jahren dieser Heiland beschäftigt.
Damals im Stall, als er in der unbezahlten Krippe lag und seine Mutter ihm eine große Verheißung erzählte.
Dann dreißig Jahre später, als er das Kreuz machte, an dem dieser Heiland starb. Und nun war er bei den Menschen, die immer noch an den Heiland glaubten,
obwohl er doch gestorben war.
Das alles konnte der Zimmermann nicht zusammenbringen.
Es fiel ihm schwer zu verstehen, dass die Krippe und das Kreuz aus dem gleichen Holz gemacht sein mussten, weil beide eng zusammengehörten.
Da hörte er folgendes Lied und er erkannte dadurch, dass Jesus tatsächlich der von Gott gesandte Heiland war:

Die Gemeinde sang:
"Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt.
Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode am Kreuz.
Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben,
der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,
und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters." (Phil 2, 6-11)

Diese Geschichte zeigt uns, dass
es manchmal Jahre braucht, bis Gott rettend eingreift – Jesus zum Beispiel war schon über 700 Jahre zuvor von den Propheten angekündigt worden.
Gott hat da offenbar eine ganz andere Zeitrechnung als wir und einen viel längeren Atem.
Und wir sehen an der Geschichte des Holzfällers auch, dass Gott manchmal Jahre braucht bis Menschen in Jesus ihren Heiland erkennen und nicht irgendeinen beliebigen Gutmenschen.
Ich finde die Geschichte beschreibt sehr eindrücklich, wie Krippe und Kreuz zusammen hängen – und im wahrsten Sinne des Wortes „aus dem gleichen Holz geschnitzt“ sind.

Genau diese Verbindung von Krippe und Kreuz zu unserem Heil finden wir auch in dem Lied, das den Zimmermann so angesprochen hat.

Ich möchte diesen Liedtext oder Hymnus der ersten Christen nun noch etwas näher betrachten, weil er unglaublich horizonterweiternd ist.

Der Philipperhymnus beginnt mit der ersten Zeile gleich ganz steil:
„Er war in göttlicher Gestalt!“ „Er war Gott gleich“
Hier wird das ausgedrückt, was wir in der Bibel immer wieder lesen können. Jesus war ein ganzer Mensch.
Aber Jesus gehört auch ohne wenn und aber auf die Seite Gottes.
Er hat nicht nur irgendetwas Göttliches an sich. Er ist auch kein göttlicher Mensch. Er ist Gott – der Sohn!

Das ist schon eine ziemlich steile Botschaft: Jesus ist Gott – der Sohn.
Aber nun geht dieser Hymnus noch viel atemberaubender weiter.
Dieser gottgleiche Jesus Christus entäußert sich seiner göttlichen Gestalt und wird ein Mensch.
Das war etwas ganz Unerhörtes in der antiken Welt.
Da kannte man göttliche Menschen, aber dass Gott Mensch wird, das
kannte man nicht.

Und nun lesen wir, dass Jesus Christus nicht nur Mensch wird, sondern ein Knecht. Dass der einzige, der Gott gleich und damit selbst Gott ist, sich freiwillig selbst zum Knecht macht und den Sklaventod am Kreuz stirbt, war und ist eigentlich undenkbar.
Das Kreuz stand für die grausamste Hinrichtungsart, die im ganzen
römischen Reich bekannt war. Und weil sie so grauenvoll war,
durfte man sie nur an Sklaven und Schwerverbrechern vollstrecken.

Ein elendig am Kreuz gestorbener Zimmermann soll das Heil der Welt sein.
Kein Wunder, dass der Zimmermann in der Geschichte es erst nicht glauben konnte.

Jetzt begreifen wir auch, warum Paulus mit seinem Wort vom Kreuz nicht mit Applaus überschüttet wurde. Jetzt wird klar, warum er dafür nur Spott und Verfolgung erntete. „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren gehen“ (1. Kor 1,18), schreibt Paulus und er schreibt weiter: „Uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft.“

Eine Gotteskraft, weil darin die unendliche Liebe Gottes zu uns Menschendeutlich wird:
Gott begibt sich in menschliche Gestalt und wird ein Säugling.
Gott wird 40 Zentimeter groß und 3 Kilo schwer, so klein und leicht wird Gott, damit wir ihn fassen können und ihn als unseresgleichen anschauen können.
Weil wir von uns aus nicht zu Gott kommen können, auch mit unserer Erkenntnis nicht, darum ist Gott zu uns gekommen. Er hat sich sichtbar, betastbar, befragbar gemacht.

Das ist das Wunder der Offenbarung Gottes in Jesus Christus.

Das hat der Zimmermann damals im Gottesdienst verstanden.
Und er begann diesen Auferstandenen Gott anzubeten.

Und von der Anbetung Gottes berichtet die zweite Strophe des Liedes:
Dort wird gesagt, alle Wesen, die zur Anbetung Gottes fähig sind – und zwar gleich wie sie vorher zu Jesus standen -, werden eines Tages ihre Knie vor ihm beugen (müssen) und Jesus als den Herrn bekennen.

So tief die Entäußerung und Erniedrigung Jesu Christi ist, so gewaltig ist
auch seine Erhöhung.
Er bekommt einen Namen über alle Namen und alle Knie werden sich vor ihm beugen und alle Zungen werden es einmal bekennen, dass Jesus der Herr ist zur Ehre Gottes des Vaters.

Was für ein weltweiter, ewiger Horizont!

1. Die Geschichte des Zimmermanns ging übrigens noch weiter:
Er wurde durch den Glauben an Jesus verändert und bekam einen Blick für Gottes Perspektive auf das Leben.

2. Er schloss sich der Gemeinde an – ich glaube übrigens, sie hieß auch Apostelgemeinde

3. Der Zimmermann begann ganz bewusst als Christ zu leben.
4. Er erzählte seiner Familie und seinen Freunden von diesem auferstandenen Jesus.
5. Er betete mit weitem Horizont und viel Geduld für die Menschen und Gottes Reich.

Sicher, er hatte auch große und kleine Probleme in seinem Leben als Christ zu meistern, aber er lebte mit dem Horizont der Ewigkeit.
6. Und von daher konnte er die Dinge seines Alltags richtig einordnen.
Er lernte von Jesus, dass sein Leben nicht von seiner
7. Leistungsfähigkeit und seinen Erfolgen oder Misserfolgen abhängt, sondern von der Güte des Herrn, der den Namen aller Namen hat.

8. Er lernte von Jesus und den anderen Christen, dass das Gelingen seiner Beziehungen zu seiner Frau, seinen Freunden und Nachbarn nicht allein von seinem Charme und seiner Charakterstärke abhängt, sondern von der Vergebung und Gnade des Herrn, der sich vor aller Ewigkeit für ihn entäußert hat, und der sich für ihn erniedrigt hat bis zum Tod am Kreuz.

Der Zimmermann sah die Welt nun mit anderen Augen. Wenn er auf das Unrecht und die Ungerechtigkeit in der Welt sah, dann ballte er nicht
9. mehr zornig die Faust, sondern er faltete die Hände zum Gebet zu dem Herrn, vor dem sich einmal alle
Knie beugen müssen und den alle Menschen bekennen werden als den Herrn der Welt, zur Ehre Gottes des Vaters.

Das Leben und die Lebensfragen des Zimmermannes waren anders geworden. Er sah sein Leben nun im weiten Horizont dieses Christusliedes.

Ich persönlich habe mir vorgenommen, von diesem Zimmermann zu lernen:
Ich möchte wieder weit sehen lernen, weit denken und auch weit beten. Ich möchte mich auf die wesentlichen Dinge im Leben konzentrieren
und mich bemühen nah an Gott dran zu bleiben und mein Leben immer mal wieder mit Gottes Augen zu sehen.
Ich weiß, ich muss auf diesem Weg geduldig sein, aber ich bin überzeugt, dass dieser Weg sich lohnt!

Kommst Du mit? Amen.