Apostel Harburg

Jesus Vol. 3: Herausforderung Mitmensch

Predigt vom 25.03.2007

Herausforderung Mitmensch -

ich bitte euch, euch mal einen Menschen vorzustellen, der eine echte Herausforderung für euch ist:
Der euch vielleicht immer wieder an eure Grenzen bringt.
Mit dem es nicht leicht ist.
Jemand, der euch aufwühlt oder bewegt.
(Pause)

Habt ihr eine Person vor Augen?

Ich bitte euch mal, ein kurzes Handzeichen zu geben, wenn ihr mögt:
Ist es eine Person, die ihr an eurer Arbeitsstelle trefft, in der Schule oder in der Nachbarschaft?

Oder ist es eine Person aus eurer Familie, eine Person, die euch sehr nahe steht?

Und gibt es jemanden unter euch, der sich selbst als seine größte Herausforderung ansieht?

Manchmal ist es so:
Je länger man über die Personen nachdenkt, die einen wirklich herausfordern, desto näher kommen sie einem.

Insofern war es gemein, dass ihr nur so kurz nachdenken konntet.

Herausforderung Mitmensch – ursprünglich sollte dieses Thema noch einen Untertitel haben, nämlich:
„jeden Menschen mit den Augen Gottes sehen“.

Denn das ist die eigentliche Herausforderung.

Wenn jemand doof ist und ich ihm eins zwischen die Hörner gebe, ist das noch keine wirkliche Herausforderung.
Aber wenn mir jemand doof kommt, und ich ihn mit den Augen Gottes sehen will,
dann ist das eine Herausforderung, die mich schnell an meine Grenzen bringen kann.

Denkt nur an die Namen, die ihr euch eben ins Gedächtnis gerufen habt.

Wie wäre Jesus mit ihnen umgegangen?
Denn wenn einer uns zeigen kann, wie Gott Menschen ansieht, dann ja wohl er.

Wie geht Jesus mit Menschen um?
Die Bibel ist voller Geschichten zu diesem Thema.

Einmal begegnete Jesus einem reichen Schnösel.
Ich kann mir so richtig vorstellen, wie der in seinem Ferrari vorfuhr, seine Designerklamotten glatt strich und dann vor Jesus stand. – Jesus, in seiner alten, staubigen Kleidung.
Der sah zwar sehr einfach aus, aber er war bekannt – ein bisschen so wie heute der Dalai Lama:
Die Menschen erhofften sich von ihm innere Heilung und vor allem die Nähe Gottes.
Jesus kannte den Zugang zum Ewigen Leben – das glaubten ihm auch die Reichen seiner Zeit.

Dieser Bursche stand da jetzt also, Jesus und den Jüngern gegenüber, und er sagte:
„Guter Meister, was muss ich tun, um das Ewige Leben zu erlangen?“
(Mk. 10, 17 – 23)
Jesus fuhr ihn an:
„Was nennst du mich gut?
Niemand ist gut außer Gott allein.
Und die Gebote kennst du doch: Halte sie ein!“
Ganz offensichtlich fand Jesus den reichen Burschen ziemlich arrogant.
Deshalb nennt er jetzt auch die Gebote, von denen er wohl annimmt, dass der reiche junge Mann damit Probleme hat:

„Du sollst nicht ehebrechen.
Du sollst nicht stehlen, auch niemanden übers Ohr hauen.
Du sollst nicht lügen.
Und du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“

Da sagte der junge Mann:
„Das alles habe ich getan von meiner Jugend an!“

Als der Mann das sagte, merkte Jesus, dass er nicht nur aus irgendeiner Laune heraus
gekommen war.
Er wollte wirklich wissen, wie er das Ewige Leben erlangen und ins Reich Gottes hinein kommen konnte.

Und jetzt heißt es im Text:
Da sah Jesus ihn liebevoll an.

Jesus sah in sein Herz.
Auch dieser reiche Ferrari-Fahrer, der vermutlich oft ganz schön arrogant sein konnte,
ist ein Kind Gottes.

Aber Jesus sah zugleich, was ihn vom Reich Gottes abhält:
Sein Herz war nicht frei für Gott, es hing an ganz anderen Sachen.

Und Jesus sagte liebevoll:
„Eins fehlt dir noch.
Geh hin, verkaufe alles was du hast,
und gib es den Armen.
Dann wirst du einen Schatz im Himmel haben!“

Da sah der junge Mann ihn traurig an,
denn er war sehr reich.
Und er dreht sich um, stieg in sein Auto und fuhr weg.

Was sagt diese Geschichte darüber aus, wie Gott einen Menschen ansieht?
Er sieht ihm ins Herz.
Er gibt ihm eine Chance, vermutlich ziemlich oft.
Er begegnet ihm liebevoll.
Er sagt ihm die Wahrheit.

Denn wenn man einem Menschen nicht die Wahrheit sagt, ist die Beziehung schon gestört.
Wenn du einem engen Freund nicht klar die Wahrheit sagst, was du fühlst und was wichtig ist, vielleicht aus Rücksicht oder weil du ihn nicht als Freund verlieren willst,
ist die Beziehung schon gestört.

Je wichtiger ein Mensch dir ist, desto weniger darfst du verbergen – eben weil du ihn liebst.

Eine andere Geschichte zum Thema „Herausforderung Mitmensch“ ist die von Zachäus.
(Lk., 19, 1 – 9)
Jesus kam mit seinen Jüngern nach Jericho, und das hatte schon etwas von Jesus Christ Superstar.
Denn an der Straße stand eine große Menschenmenge, um ihm zuzujubeln und vielleicht das eine oder andere Wunder live mitzuerleben.

In Jericho gab es einen Beamten namens Zachäus, einen Zollbeamten, den alle hassten,
weil er ihnen ganz legal das Geld aus der Tasche stahl.

Er war klein, dick und widerlich.

Als Jesus kam, wollte er ihn auch gerne sehen, aber keiner ließ ihn durch.
Also stieg er auf einen Baum:
Der kleine, dicke Beamte, der so gerne andere nieder machte und sich für so groß und wichtig hielt.

Jesus ging durch die Menge und hielt vor dem Baum.
Stellt euch das mal vor:
Jesus, seine Jünger und die Einwohner von Jericho stehen vor dem Baum, auf dem Zachäus hockt, und gucken hoch.

Ein schönes Bild.
Zachäus sieht so wunderbar lächerlich aus.

Und Jesus sagt:
„Zachäus, komm mal runter,
ich möchte heute zu Gast sein bei dir!“

Die Leute, die drum herum standen, glaubten sich verhört zu haben.
Das war einfach die falsche Ansprache!
Er hätte ihn zurechtweisen müssen!
Die Leute wurden ziemlich unruhig.

Zachäus hingegen sprang runter, führte Jesus und seine Jünger zu seinem Haus und gab eine große Party.
Es wurde Musik gemacht, erzählt und gelacht – und bei der Bevölkerung Jerichos hatte Jesus gerade seinen guten Ruf verloren:
Jesus feiert mit dem Betrüger.

In der Bibel wird nicht beschrieben, was hinter den Türen des Hauses noch so alles geschah.
Aber am nächsten Tag verkündete Zachäus, dass er die Hälfte seines nicht gerade unbeträchtlichen Vermögens den Armen geben werde.
Außerdem wolle er jedem, den er betrogen habe, sein Geld vierfach zurückgeben.

Das beruhigte dann auch die Bewohner Jerichos.
Und Jesus sagte:
„Heute ist diesem Hause Heil widerfahren,
denn auch er ist ein Kind Gottes!“

Was sagt diese Geschichte darüber aus, wie Gott einen Menschen ansieht?
Es ist wie bei der ersten Geschichte:
Er sieht ihm ins Herz.
Er gibt ihm eine Chance.
Er begegnet ihm liebevoll.
Und er sagt ihm die Wahrheit.

Einmal stand JC in einer Menge, in der viele ihm nicht glaubten.
Er wurde ganz schön herausgefordert.
Schließlich sagte einer seiner Kontrahenten:
„Was meinst du denn:
Welches ist das höchste und wichtigste Gebot?“
Und Jesus antwortete ihm: (Ihr wisst es alle:)
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben –
und zwar von ganzem Herzen,
in deiner ganzen Seele
und mit deinem ganzen Verstand!
Das ist das höchste Gebot.
Aber es gibt noch eins, das genauso wichtig ist:
Du sollst deinen Nächsten lieben
wie dich selbst.
In diesen beiden Geboten ist alles zusammen gefasst,
was Gott uns aufträgt!“
(Mt. 22, 36 - 39)
Das „Doppelgebot der Liebe“:
Wir sollen Gott wirklich lieben, und genauso all die Menschen um uns herum, auch die, bei denen uns das nicht leicht fällt – und wir sollen uns selbst lieben, was auch so manchem nicht leicht fällt.

Jesus ist da sehr entschieden.
Er sagt, dass wir selbst unsere Feinde lieben sollen.

Ich hatte euch am Anfang gebeten, an jemanden zu denken, der euch besonders herausfordert:
Auch dieser Mensch ist ein Kind Gottes – das ist gerade die Herausforderung.

Und die ist oft ziemlich groß.

Bei mir stehen häufig Leute vor der Tür, die etwas Geld haben wollen, weil sie wirklich pleite sind, obdachlos, heruntergekommen.
Manchmal echt verfilzt und verlaust.

Ich lasse sie dann draußen stehen, weil sie so stinken.
Einmal, als es richtig kalt war, wollte einer reinkommen, um sich aufzuwärmen.

Ich habe ihn natürlich reingelassen, obwohl der Bursche unglaublich fordernd ist und unfreundlich.
Danach habe ich für mehrere Stunden das Fenster aufgerissen, der Geruch ging einfach nicht raus.

Aber eins habe ich nicht gemacht.
Ich habe nicht gedacht:
„Oh, dieser Mensch ist ein einzigartiges Geschöpf des allmächtigen Gottes.
Er ist Gottes Ebenbild, und Gott liebt ihn.
Jesus ist für ihn gestorben!“

Das habe ich nicht gedacht.
Ich war froh, als er draußen war.

Manche dieser obdachlosen Menschen sind krank und können gar nicht mehr normal kommunizieren.
Manche sind echt einsam und allein.

Einer kommt ganz regelmäßig, bittet um etwas Geld – und will einfach erzählen, wie es ihm geht.

Das kostet viel Zeit, und ich muss mich wirklich ermahnen und fast schon zwingen, ihn immer wieder zu fragen, wie es ihm geht, was er erlebt und wie er über die Runden kommt.
Das sprudelt dann so aus ihm raus.

Er ist ein Ebenbild Gottes.
Und auch er braucht das, worum es im Doppelgebot geht:
Er braucht Zuneigung.
Könnt ihr euch vorstellen, so jemanden liebevoll anzuschauen, so wie Jesus es machte?
Mit fällt das schwer.
Meistens gucke ich vorbei.

Einmal, als ich mir Zeit genommen und mal nicht vorbeigeschaut hatte, sagte ein Obdachloser am Ende unseres Gesprächs:
„Vielen Dank, ich werde Sie weiter empfehlen!“
Wir haben über diesen Spruch oft gelacht, aber er ist irgendwie auch gut.

Oder seht auf die Frau im Theaterstück.
Die braucht es wirklich, dass irgendjemand sie mal liebevoll anschaut und sie nicht nur funktionieren muss.

Das ist ja gerade das große Problem des Alltags:
Sie wird ja gar nicht mehr wahrgenommen als Mensch.
Alles andere ist wichtiger:
das Fußballspiel im Fernsehen, die Sorgen der Freundin, die Pizza der Kinder.

Wie sieht Gott sie an?
Einander mit den Augen Gottes anzusehen, ist nichts, was von alleine passiert.
Das müssen wir wollen und üben.

Bei uns in der Gemeinde gibt es manchmal intensiven Streit.
Ich habe nichts gegen Streit, ich glaube, das muss manchmal sein.

Aber es geht dabei oft nicht um die Sache – auch wenn das natürlich fast jeder behauptet.
Das eigentliche Problem liegt meist in der Beziehung zwischen den Kontrahenten und im unterschiedlichen Wesen, in der unterschiedlichen Persönlichkeit der Streitenden.
Dann empfinde ich den anderen als arrogant
Oder fühle mich verletzt.

Ich verstehe gar nicht, was der von mir will,
„es ist doch gar nichts los“.
Ich habe den Eindruck, dass sich da nur jemand aufspielen will, oder finde ihn einfach nicht so sympathisch.

Und dann?
Sollten wir alle rausschmeißen aus der Gemeinde, die wir nicht mögen?

Paulus sagt:
„Nehmt einander an
wie Christus euch angenommen hat
zum Lobe Gottes!“
(Rm 15, 7)
Wir loben Gott, wenn wir einander annehmen.
Wenn wir uns wirklich annehmen: Du bist ganz anders als ich – aber du bist ein einzigartiges Geschöpf Gottes, er liebt dich ganz und gar!

Jesus selbst sagte mal:
„Ein neues Gebot gebe ich euch,
dass ihr euch untereinander so liebt,
wie ich euch geliebt habe.
Daran wird jedermann erkennen,
dass ihr meine Jünger seid,
wenn ihr einander liebt!“
(Joh. 13, 34f)

Das bedeutet „zum Lobe Gottes“, dass andere in unserem Verhalten sehen, wie Gott uns sieht.

Im November im Abendgottesdienst hatte ich euch einen Filmausschnitt gezeigt, vielleicht erinnert ihr euch:
Eine der letzten Szenen aus dem Film Bruce Allmächtig.
Bruce hatte alles versucht, um seine Freundin Grace zurückzugewinnen.
Er hat versucht zu tricksen, er hat sie bedrängt – jetzt steht er Gott gegenüber und sagt:
„Ich habe nur einen Wunsch:
Ich möchte sie so sehen, wie du sie siehst.
Ich möchte den Reichtum sehen, den du in sie hineingesteckt hast.
Und ich will akzeptieren, wie sie sich entscheidet!“

Bruce allmächtig – eigentlich eine Komödie.
Aber am Ende sagt er:
Ich will nicht vor allem mich sehen, nicht nur meinen Vorteil in der Beziehung, sondern ich will sie sehen – so wie Gott sie gedacht hat, mit den Augen Gottes.

Und das heißt auch:
Ich will den anderen behandeln,
wie Jesus Christus uns behandelt!

Und wie er uns behandelt, das haben wir vielleicht schon am eigenen Leib erfahren:
Jesus begegnet uns immer wieder liebevoll (auch wenn wir versagen, so wie Petrus).
Er vergibt uns unsere Schuld, und nimmt damit schwere Lasten von unseren Schultern.
Er tröstet uns.
Er berührt unsere Herzen mit der Liebe Gottes.
Er zeigt uns, dass Gott für uns da ist, genau und gerade für uns.

Aus welchem Grund sollten wir also unseren Partner, unsere Kinder, Eltern, Freunde oder Mitarbeiter nicht genauso behandeln?

Wir könnten z.B. durchaus versuchen, nicht abgelenkt zu sein, wenn andere uns brauchen.
Wir könnten das Fußballspiel im Fernsehen, den Streit um die letzte Pizza oder unsere Arbeit nicht für wichtiger halten als die Menschen um uns herum.
Jemanden mit den Augen Gottes sehen, bedeutet, ihn mit liebevollen Augen zu sehen – selbst wenn er nicht so sympathisch ist.
Und selbst, wenn es sich bei dieser Person um mich selber handelt.

Und warum sollten wir das machen?
„Weil du in meinen Augen so wertgeachtet
und auch so herrlich bist
und weil ich dich lieb habe“, sagt Gott.
(Jes. 43, 4a)

Und nun stellt euch noch mal den Typen vor, den ihr euch ganz am Anfang vor Augen gehalten habt, eure besondere Herausforderung.

Wir haben da einiges zu tun.

Aber wir sind Christinnen und Christen, und wir wissen, dass Gott uns auf unserem Weg begleitet.
Dass er uns auch vergibt, wenn wir Fehler machen oder sogar scheitern.
Denn er schaut ja auch uns liebevoll an, eben mit den Augen Gottes!