Apostel Harburg

Füreinander da sein

"Füreinander da sein" (Römer 12, 9-16)

was glaubt Ihr – was verbinden die meisten Menschen mit Kirche?
Oder anders gefragt: Warum sind viele Menschen noch Mitglied in der Kirche?
Eine Topantwort ist sicher: Wegen der Diakonie! Weil die Kirche sich für die Schwachen einsetzt!
Hier werden sie geholfen! :-)
Im Ernst: Die Kirche ist für die Armen und Schwachen da!

Ich glaube, dass ein tatkräftiger Glaube tatsächlich ein zentrales Erkennungsmerkmal jeder Gemeinde sein sollte!
Das belegen viele biblische Texte – ich habe einen von Paulus aus dem Römerbrief ausgewählt, den ich mit uns heute Morgen bedenken möchte:

Paulus schreibt in Römer 12, 9-16:
Eure Liebe darf nicht geheuchelt sein.
Verabscheut das Böse, tut mit ganzer Kraft das Gute!
Liebt einander von Herzen als Brüder und Schwestern,
und ehrt euch gegenseitig in zuvorkommender Weise.
Werdet im Eifer nicht nachlässig, sondern lasst euch vom Geist Gottes entflammen.
Dient in allem Christus, dem Herrn.
Seid fröhlich als Menschen der Hoffnung, bleibt standhaft in aller Bedrängnis, lasst nicht nach im Gebet.
Sorgt für alle in der Gemeinde, die Not leiden,
und wetteifert in der Gastfreundschaft.
Wünscht denen, die euch verfolgen, Gutes. Segnet sie, anstatt sie zu verfluchen.
Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Traurigen.
Seid alle miteinander auf Einigkeit bedacht. Strebt nicht hoch hinaus, sondern haltet Gemeinschaft mit den Verachteten.

Nachdem Paulus im Römerbrief 11 Kapitel lang davon erzählt hat, wie die Liebe Gottes in Jesus sichtbar geworden ist, geht er in unserem Kapitel, aus dem der Predigttext stammt, zum praktischen Leben der Gemeinde über.

Er spricht kurz vor unserem Text von den Gaben und Aufgaben der Gemeinde und gebraucht für die Gemeinde das Bild des Leibes.
Er sagt, eine christliche Gemeinde soll wie bei einem Leib verschiedene Körperteile für verschiedene Aufgaben haben.
Alle sollen beteiligt sein am Leben der Gemeinde – jeder nach seiner Begabung.
Wir sollen als Körperteile des Leibes Christi also füreinander da sein!

Paulus betont nun in unserem Predigttext, dass in diesem Leib der Gemeinde wahrhaftige Liebe herrschen soll. Das schickt er nicht noch kurz hinterher, sondern die Liebe ist Paulus und dem Gott, den er bezeugt, wichtiger als alles andere.

So hat es auch Jesus selber einmal gesagt:
!!! Daran wird jeder erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn !!! ihr euch liebt untereinander (Joh 13,35).

Man kann sagen: Die geschwisterliche Liebe untereinander ist das Kennzeichen der christlichen Gemeinde.
Denn hier entscheidet sich die Glaubwürdigkeit unseres Glaubens.
Deshalb sind liebevolle Beziehungen in einer Gemeinde eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale einer gesunden, lebendigen Gemeinde.
!!! Anders herum gesagt: Eine Gemeinde, die nicht füreinander da sein will, ist eine kranke und letztlich schrumpfende Gemeinde!

Paulus beschreibt nun in unserem Predigttext zum Teil recht konkret,
wie sich diese Liebe untereinander äußern soll.
Er schreibt einen ganzen Katalog von Ermunterungen, wie ein gesegnetes Leben in der Gemeinde aussehen kann.

Aber bevor er das tut, beginnt er mit einem zentralen Satz und fragt nach unseren Beweggründen:

„Eure Liebe darf nicht geheuchelt sein.“ Schreibt er als erstes!
Wir müssen uns also als erstes die Frage stellen: Welche Motive habe ich eigentlich, wenn ich helfe?
Diene ich in allem Christus, dem Herrn, wie Paulus es fordert?
Wichtig ist, dass unsere Liebe echt ist – nicht geheuchelt.
Es geht also nicht in erster Linie um mich,
auch nicht darum mein mehr oder minder ausgeprägtes Helfersyndrom zu befriedigen.
Es geht nicht darum, dass ich groß raus komme.
Es geht auch nicht einmal zuerst darum, dass unsere Gemeinde zahlenmäßig wächst,
(obwohl genau das passieren wird, wenn wir echte Liebe zeigen und füreinander da sind – aber das ist nicht unser erstes Motiv!!!)

Das Wichtigste beim ganzen Füreinander – da –sein ist, dass ich mich selber für Gottes verändernde Kraft und Liebe öffne und mich von ihr durchströmen, erfüllen und verändern lassen.
Denn nur dann kann ich echte Liebe geben, wenn ich selber aus der Liebe Gottes schöpfe!

Das sollte darum unser anhaltendes Gebet sein und werden, dass wir von seinem Geist der Liebe erfüllt und verändert werden.
Denn Gott, der nach Martin Luther „ein Backofen voller Liebe“ ist, will uns mit seiner Liebe durchglühen und erwärmen.
„Lasst euch vom Geist Gottes entflammen“ – so sagt es Paulus in unserem Bibelabschnitt.
Denn wer brennend durch den Geist Gottes ist, der dient seinem Herrn und Gott gerne, weil die echte Liebe ihn treibt.

Diese echte Liebe führt mich dazu, dass ich meine Glaubensgeschwister immer mehr lieben lerne,
weil ich weiß, dass Jesus auch sie liebt und sein Leben auch für sie gegeben hat.
Unabhängig davon wie sympathisch oder unsympathisch mir jemand auch sein mag.
So wertvoll sind alle Menschen, die hier mit uns in der Gemeinde in Eißendorf leben – ob sie nun kirchendistanziert sind oder kirchennah.
Jeder, der heute hier im Gottesdienst versammelt ist und neben ihnen in der Bank sitzt ist ein einzigartiges Geschöpfe Gottes, das unsere Liebe verdient hat.
Wenn ich mir das deutlich mache, dann kann so etwas entstehen wie „herzliche geschwisterliche Liebe“, wie Paulus es nennt.

Diese Liebe äußert sich dann – wenn es gut läuft - darin, dass ich es immer öfter schaffe von mir selbst wegzublicken und den anderen wirklich zu sehen!!!

Denn die von Gott geprägte Liebe sucht nicht den eigenen Vorteil, sondern sie liebt ohne Hintergedanken.
Sie wendet sich dem Armen zu, auch wenn der mir nicht viel zurückgeben kann.

Das kann sich z.B. darin ausdrücken, dass wir gastfreundlich miteinander sind, wie Paulus uns auffordert.
Wenn wir einander das Herz und auch das Haus oder die Wohnungstür öffnen, dann kann Gott unsere Gemeinschaft reich segnen.
Und ich bin sogar überzeugt, dass „herzliche geschwisterliche Liebe“ nur entstehen kann, wenn wir uns gegenseitig einladen und unser Leben miteinander teilen. Das fällt sicher manchem leichter und manchem schwerer, aber es ruht eine große Verheißung Gottes auf der Gastfreundschaft.
>> Darum wollen wir eine einladende Gemeinde sein!

Das Leben und den Glauben miteinander zu teilen, dazu fordert uns Paulus auch auf, wenn er sagt:
„Sorgt für alle in der Gemeinde, die Not leiden,
- Seid füreinander da!
Wir tun dies, wenn wir anderen Menschen in Not helfen,
Idealer weise soll es so sein, dass wenn ein Gemeindeglied leidet, alle mitleiden.

Wie soll das gehen in unserer Gemeinde, die etwa 3.400 Gemeindemitglieder hat?
Das geht nur, wenn die Gemeinde überschaubare Einheiten hat, wo persönliche Nähe möglich ist.
Ich möchte Euch deshalb ermutigen, Euch einer kleinen, überschaubaren Gruppe in der Gemeinde anzuschließen, in der eine Atmosphäre des Vertrauens und ein Geist der Liebe herrschen.
Denn in so einer Gruppe, z.B. in einem Hauskreis, können wir füreinander da sein, einander wahrnehmen und ganz wichtig: Überhaupt voneinander wissen.
Daran scheitert es ja oft schon.
Wisst Ihr, wie es Eurem Nächsten wirklich geht?
Eine Frau erzählte mir neulich, dass sie ganz erschrocken war, als sie erfuhr, dass eine andere Frau, die sie regelmäßig in einer Gruppe traf, Alkoholikerin war und ist – und keiner (!) aus der Gruppe wusste von Ihrer Not!

Wir brauchen also kleine Gruppen in der Gemeinde und eine seelsorgerliche, liebevolle Atmosphäre, wo es möglich ist, zu sagen, dass man Hilfe braucht.
Dieser Satz: „Ich brauche Hilfe!“ ist ein ganz wichtiger Satz, wenn es darum geht Füreinander da zu sein in der Gemeinde!

Das ist übrigens auch eine zentrale Erkenntnis aus der Erfahrung der Seelsorge:
Oft ist der entscheidende Schritt eines Menschen in Not einfach der, dass er zugibt:




Ich schaffe es nicht allein. Ich bin dem, was mich so quält, allein nicht gewachsen. Ich brauche Hilfe!
Ich bin z.B. dem Alkohol nicht allein gewachsen; alle guten Vorsätze nützen bislang nichts.
Oder "Ich bin meiner Einsamkeit nicht mehr gewachsen"
Und auch die Hilfe für Ehepaare beginnt mit dem Satz: "Wir brauchen Hilfe in unserer Ehe."





Und ein Kranker muss sagen:




Ich bin meiner Krankheit nicht allein gewachsen! Der Angst, dem Schmerz, den einsamen Nächten voller Grübeleien! Bitte helft mir!



Darf ich Euch mal persönlich fragen:

Wem zeigst Du eigentlich Deine Schwächen und Probleme?
Wem sagst Du, dass Du Hilfe brauchst?
Gibt es jemanden, der Dich von Zeit zu Zeit trägt und auch zu Jesus trägt, wenn Du den Weg nicht allein gehen kannst?
Betet jemand für Dich? Glaubt jemand zur Not auch mal stellvertretend für Dich?

Ich wünschte, jeder hier in der Gemeinde würde so eine Person haben. Eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger, vor dem Ihr ganz offen sein könnt und der auch mit Euch gemeinsam vor Gott tritt, wenn es nötig ist.
Ich kann Euch nur ermutigen, sich an eine Person Eures Vertrauens zu wenden oder an uns Pastoren oder Claudia Thalmann, deren Telefonnummer hinten auf dem Gemeindebrief abgedruckt ist.

Denn wenn man sich einem anderen Menschen vor Gott öffnet, dann merkt man plötzlich:
1. Es tut einfach gut darüber zu sprechen.
2. Es gibt eine Hilfe, denn gibt einen starken Helfer!

Wir sind nicht mehr allein mit unserer Krankheit, sei es, dass wir von Gott geheilt werden oder sei es, dass wir stark genug werden, mit dieser Krankheit zu leben und zu sterben.
Wir sind dann nicht allein mit unserer Einsamkeit, mit unserer Beziehungsnot.
Wir sind nicht mehr allein mit unserer Not in der Familie und unseren Ängsten.
Weil es einen starken Helfer gibt, wird es besser mit uns.

Sicher: Ich muss mich überwinden, wenn ich mich einem andern Menschen oder einer Gruppe öffne, aber:
Es lohnt sich auf jeden Fall, mutig zu sein und Nähe zuzulassen.
Denn Nächstenliebe erfordert Nähe.
Nächstenliebe ist Näheliebe.
Und das gilt auch umgekehrt: Ihr könnt dem andern nur zum Nächsten werden und helfen, wenn Ihr die Bereitschaft habt, Nähe zuzulassen.

In kleinen Gruppen ist so etwas möglich.
Wir können uns miteinander freuen über die Erfolge und Wunder in unserem Leben
und wir können miteinander weinen, wenn jemand traurig ist.
Und das ist nicht nur ein schöner Traum von Kirche!
Denn in vielen Teilen unserer Gemeinde ist das bereits Realität:

>> Ich war letzte Woche im Freizeitkreis von Konni Wilke – den gibt es seit 34 Jahren – also den Kreis meine ich! J – Da wird Freud und Leid miteinander geteilt und alle spüren den Segen der Gemeinschaft – sie sind einfach füreinander da!

>> Und das erlebe und höre ich aus vielen Kreisen unserer Gemeinde. Da sind Menschen füreinander da, wenn jemand in Not gerät und Hilfe braucht.

Und das Gute ist, es tut nicht einmal weh zu helfen: J
Ganz im Gegenteil: Jesus hat einmal gesagt: "Geben macht glücklicher als Nehmen."
Und so haben es unzählige Menschen erlebt, die sich auf diese Zusage Jesu eingelassen haben.

Deswegen möchte ich heute mit zwei ganz konkreten, praktischen Fragen schließen:



1. Wem bist Du ganz persönlich der Nächste?

Wo ist ganz konkret Deine Liebe und Hilfe gefordert und nötig?
>> Überlege bitte einmal, wer Dir JETZT in diesem Moment einfällt, für den Du da sein solltest?




Vielleicht betest Du nachher einmal für diese Person und entzündest ein Licht für sie.
Vielleicht hilft es auch schon, diese Person einmal zu einem Gottesdienst oder einer Gruppe einzuladen!
Vielleicht ist es die alte Nachbarin, die niemanden hat, der ihr im Alltag hilft?
Oder die überforderte alleinerziehende Mutter, die sich keinen Babysitter leisten kann?





Wem bist Du ganz persönlich der Nächste?

Und die zweite Frage, die ich Ihnen und mir mit auf den Weg geben möchte ist:



2. Was können wir als Gemeinde füreinander tun?

Vorweg möchte ich einem möglichen Einwand begegnen:
Sollen wir uns als Gemeinden überhaupt diakonisch engagieren?
Schließlich gibt es hier in Deutschland doch ein engmaschiges, vom Staat gefördertes, soziales Netz.
Außerdem gibt es viele Profis wie das Rote Kreuz, Caritas und das Diakonische Werk.
Dazu unzählige Vereine, die Projekte wie die Tafeln, Hausaufgabenhilfe, Drogenberatung etc. anbieten.

Dazu 2 Anmerkungen:
1. Das soziale Netz ist leider gar nicht so engmaschig wie es sein sollte!




die Altersarmut in Deutschland wächst - so auch bei uns in Eißendorf
Und auch der Einsamkeit im Alter kann kein Staat begegnen
Und wenn immer mehr Jugendliche bis zum Umfallen "Komasaufen" betreiben, dann ist das auch ein Alarmsignal für uns als Gemeinschaft. Und so etwas gibt es sicher auch unter den Eißendorfer Jugendlichen.





Die zweite Anmerkung:
2. Wir haben einen klaren Liebes-Auftrag von Gott, der nicht von irgendwelchen Profis stellvertretend erledigt werden kann! Natürlich brauchen wir die Unterstützung der Profis, aber auch die Profis brauchen die Basisarbeit der Gemeinden.
Es wird deshalb Zeit, dass die Diakonie wieder mehr in der Gemeinde gelebt und mit dem Glaubensangebot verknüpft wird. Dafür wollen wir uns in Apostel einsetzen!
Wir wollen eine missionarische und eine diakonische Gemeinde sein, weil beides dem Glauben und dem Evangelium von Jesus entspricht.

Darum noch einmal die Frage:



Was können wir als Gemeinde gemeinsam tun?

Wo sollten wir uns als Gemeinde diakonisch engagieren, um den Menschen in Eißendorf zu dienen und sie so mit Gottes Liebe ganz spürbar in Berührung zu bringen?
Wo sind wir als Gemeinde gefragt, weil eine Not da ist, die sonst niemand behebt?

Um diesen Fragen nachzugehen hat sich in der Gemeinde eine Gruppe gebildet, deren Ansprechpartner Michel Krauss und Claus Scheffler sind.
Wir wollen mit diesem neuen Arbeitszweig, den wir „Füreinander da sein“ nennen, Strukturen schaffen,
durch die wir immer mehr dem Liebesgebot Jesu ganz praktisch nachkommen können.
Wir wollen Kirche in und für alle Menschen in Eißendorf sein und nicht nur ein bestimmtes Milieu ansprechen.
Eine erste Idee, die aus diesem neuen Team kommt ist, eine Weihnachtsfeier für Einsame, Singles und Alleinstehende am Heiligabend in den Räumen der Kirche durchzuführen.
Wenn Du dabei mitmachen und diese konkrete Idee oder die Arbeit insgesamt unterstützen willst, dann kannst Du drei ganz praktische Dinge tun:

1. Bete für dieses diakonische Projekt „Füreinander da sein“

2. Für einige kann es das Richtige ein, das "Gabenseminar" zu belegen, das jetzt am Mittwochabend startet, wenn Du es noch nicht besucht hast. Dort kannst Du herausfinden, wozu Gott Dich begabt hat.
Oder mach andere darauf aufmerksam, die dieses Angebot noch nicht kennen.

3. Such Dir aktiv eine Aufgabe in der Gemeinde, die zu Dir passt und beginne einfach demütig zu dienen. Ich verspreche Dir: Es wird Dir gut tun! Sprich einfach einen leitenden Mitarbeiter aus einem Bereich oder uns Pastoren an!

Und zum Schluss noch eine unbedingte Zusage: Wir können tatsächlich füreinander da sein, weil Gott für uns da ist – dafür steht er mit seinem Namen.
Und er will die segnen, die Füreinander da sind in der Gemeinde und auch sonst im Leben – [Amen.]

Lasst uns beten…