Warum kapieren die eigentlich nichts?
Das älteste der vier Evangelien aus dem NT stammt von Markus.
Es wurde um das Jahr 60 herum geschrieben – mit großer Wahrscheinlichkeit jedenfalls vor dem Jahr 66.
Das ist nämlich ein Schlüsseljahr.
Im Jahr 66 nach Christus begann der erste jüdische Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht.
Die Römer kamen mit einer großen Armee, zerstörten Jerusalem und belagerten danach vier Jahre lang die verbliebenen Aufständischen, die sich auf die Festung Massada am Toten Meer zurück gezogen hatten.
Massada ist bis heute das Symbol jüdischen Widerstands.
Hier werden bis heute viele Rekruten der israelischen Armee vereidigt.
Das soll sagen:
Nie wieder lassen wir es zu, dass eine fremde Armee unser Land besetzt!
Die Zerstörung Jerusalems durch die Römer fand im Jahr 66 statt.
Die Stadtmauer wurde geschleift, der gerade neu erbaute Tempel nieder gerissen.
Juden wurde es verboten, das, was von der Stadt übrig geblieben war, zu betreten.
Markus nimmt im Gegensatz zu Matthäus und Lukas mit keinem Wort Bezug auf dieses einschneidende Geschehen.
Daher nimmt man an, dass er davon nichts wusste.
Das Markus-Evangelium entstand also vermutlich vor 66, Matthäus und Lukas danach.
Ich habe vor zwei Wochen einiges über die Entstehung, die Eigenarten und die Grundlagen des Markus-Evangeliums erzählt.
(Sie können das nachhören auf der CD oder nachlesen in dem „Weiter denken“-Faltblatt – beides liegt am Eingang aus.)
Gleich am Anfang des Evangeliums steht ein grundlegender Satz, der so eine Art Überschrift für alles Weitere ist.
Markus ist es dabei gelungen, die Verkündigung Jesu in zwei Sätzen zusammen zu fassen – was sehr für Markus spricht und seine Fähigkeit, das Wesentliche zu benennen.
Jesus sprach:
Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbei gekommen.
Tut Buße und glaubt an das Evangelium! (Mk. 1, 15)
So steht es geschrieben bei Markus, Kap. 1, Vers 15.
Vor zwei Wochen habe ich davon gesprochen, und dabei scheint es bei manchen ein Missverständnis gegeben zu haben:
„Tut Buße und glaubt an das Evangelium“
Sollen die Leser an das Markus-Evangelium glauben, dass sie gerade vor sich liegen haben und aus dem ihnen vielleicht gerade vorgelesen wird?
Das ist damit nicht gemeint.
Das griechische Wort „Eu-Angelion“ bedeutet gute Botschaft oder frohe Botschaft.
Darin steckt das Wort „Angelion“ oder „Engel“.
Ein Engel ist ein „Bote Gottes“, jemand, der etwas von Gott an andere weiter gibt – etwas Entscheidendes, Grundlegendes, Lebenswichtiges.
„Eu“ heißt gut oder froh.
Es geht hier also um den Inhalt, das, was Gott uns sagen und zeigen will.
Das ist mit Evangelium gemeint.
Das Buch hat man erst später nach seinem Inhalt genauso genannt.
Der erste Satz bei Markus geht so:
„Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes“
Auch hier geht es nicht um das Buch, sondern um die Botschaft.
Jesus sprach:
„Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbei gekommen.
Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“
Vor zwei Wochen ging es dann um die Kapitel 1 – 3.
Heute soll es um die folgenden Kapitel 4 – 8 gehen.
Und in zwei Wochen möchte ich diese Reihe abschließen mit den Kapiteln 9 und 10.
Am Ende von Kapitel 10 kommt Jesus in Jerusalem an, und es beginnen die Tage der Passion und der Auferstehung.
Um die soll es in dieser Predigtreihe nicht mehr gehen.
Heute also die Kapitel 4 – 8.
In Kapitel 4 geht es um Gleichnisse, u.a. das Gleichnis vom Sämann oder der vierfachen Saat, wie es auch manchmal genannte wird.
In Kapitel 5 geht es um Heilungen.
Eine Frau,deren Blutungen gar nicht aufhören, wird geheilt.
Und die Tochter des Jairus wird vom Tod auferweckt.
In Kapitel 6 geht es um Wunder wie die Speisung der 5000 oder Jesus, der über den See geht.
In Kapitel 7 wird erörtert, wer eigentlich rein oder unrein ist. Und in Kapitel 8 geht es wieder um Zeichen und Wunder und die Frage, wie leicht man sie missverstehen kann.
Das ist das übergreifende Thema dieser Kapitel:
Markus fragt sich:
Warum kapieren eigentlich so viele nichts?
Warum verstehen sie das Evangelium nicht?
Warum lehnen sie Jesus ab, warum glauben sie ihm nicht?
Jesus fragt seine Jünger nach der Sturmstillung:
„Was seid ihr so furchtsam?
Habt ihr immer noch keinen Glauben?“ (4, 40)
Nach der Heilung des Besessenen fürchteten sich die Menschen und baten ihn, fortzugehen (5, 15.17)
Nach der Auferweckung der Tochter des Jairus entsetzten sich alle (5, 42).
In Kapitel 6, Vers 6, heißt es:
„Und er (= Jesus) wunderte sich über ihren Unglauben“.
Ein paar Verse später rätseln die Menschen, wer Jesus denn nun sei:
Ein Prophet, Elia oder der wiedergeborene Johannes.
Nach der Speisung der 5000 und dem Wunder, bei dem Jesus über den See kam, heißt es:
„Sie entsetzten sich über alle Maßen.
Denn sie waren um nichts verständiger geworden angesichts der Brote, sondern ihr Herz war verhärtet“ (6, 51f)
Das ist ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang, eine Erklärung, die Markus bietet:
Ihr Herz ist verhärtet.
¬ d.h.: Sie haben keinen Kontakt zu Gott (Herz = Kontaktorgan)
In Kapitel 7 nimmt Jesus sich die gläubige Gemeinde vor.
Er nennt viele von ihnen Heuchler (7, 6)
„Vergeblich dient ihr Gott.
Denn ihr verlasst seine Gebote und haltet euch an menschliche Satzungen.“ (7, 7-9)
Das sagt er der gläubigen Gemeinde.
Wir sind ja auch eine gläubige Gemeinde.
Er sagt ihnen:
Ihr wollt Gott dienen – aber ihr schafft es nicht.
Denn ihr habt euch eingerichtet in eurem Verständnis des Glaubens.
Und damit habt ihr Gottes Gebote verlassen und haltet euch stattdessen an eure eigenen, menschlichen Satzungen!
Das ist eine echte Gefahr!
Ich glaube, dass Markus sich sehr ernsthaft mit dieser Gefahr auseinander setzt.
Das ist die Gefahr, in der die gläubigen Insider stehen – in der auch wir hier stehen:
Wir wollen glauben, wir wollen umkehren und Jesus nachfolgen – aber wir tun es nicht!
Es sind in diesen Kapiteln die gläubigen Juden, zu denen Jesus ja von Gott geschickt ist, um ihnen seine frohe Botschaft zu sagen.
Es sind diese gläubigen Juden, die Gottes Gebote verlassen haben und sich ihre eigenen machen.
Und es sind die Jünger, seine eigenen Jünger, denen Jesus in Kapitel 8 (ab Vers 17) sagt:
„Versteht ihr es nicht?
Begreift ihr es immer noch nicht?
Habt ihr immer noch ein verhärtetes Herz in euch?
Habt Augen und seht nicht, habt Ohren und hört nicht?“
Das sagt er den Jüngern.
Und wer versteht es stattdessen?
Dem Gelähmten sagt Jesus:
Dein Glaube hat dir geholfen. (c. 2, 5)
Der Frau mit dem Blutfluss sagt er:
Dein Glaube hat dich gesund gemacht“ (5, 34)
Jairus, dem sorgenden Vater, sagt er:
„Fürchte dich nicht, glaube nur!“ (5, 36)
Und der Fremden, der Frau aus „Syrophönizien“, also dem heutigen Libanon, der Kirchenfernen, sagt er:
„Um deines Vertrauens willen geh hin.
Deine Tochter ist geheilt!“ (7, 29)
Wo stehen wir?
Ich frage mich das immer wieder:
Wie ernst nehmen wir die Bibel – hier in Apostel?
Bin ich wirklich umgekehrt und vertraue auch das Evangelium?
Kennen Sie die Geschichte von Taizé?
Frére Roger hat die mal erzählt.
Frére Roger war lange Zeit der Prior der Communité von Taizé.
(das sind die mit den Liedern, die wir in der „Zeit der Stille“ singen).
Er sagte, dass bei ihnen immer derjenige Bruder am meisten zu sagen hat, der die kürzeste Zeit dazu gehört.
Denn der kommt von außen, er ist noch nicht betriebsblind.
Er hat den größten Idealismus, er ist ganz von seinem Glauben getrieben und nicht von den Ordensregeln und den internen Hierarchien.
Frére Roger sagte, dass sie sich in der Communité ganz bewusst entschieden hätten, auf die neuen Brüder besonders zu hören,
ihre Ideen, Gedanken und Vorschläge besonders ernst zu nehmen.
Sie wollen auf diese Weise dafür sorgen, dass sie wirklich nach Gottes Gebot leben und nicht nach ihren eigenen Satzungen.
Deshalb ist es so wichtig, dass ständig neue Menschen in die Gemeinde hinein kommen, auch hier nach Apostel:
Damit wir etwas von ihnen lernen!
Denn Markus fragt sich ja zu Recht:
Warum kapieren eigentlich so viele nichts?
Warum verstehen sie das Evangelium nicht?
Warum lehnen sie Jesus ab, warum glauben sie ihm nicht?
Ich hatte vor zwei Wochen gesagt, dass Markus eher ein Berichterstatter ist und das Gehörte nur sehr wenig interpretiert.
Dieses Thema treibt ihn allerdings richtig um.
Und deshalb bringt er hier eine seiner ganz wenigen Interpretationen ein.
Er versucht zu erklären, warum es so viele Gegner des Glaubens gibt.
Und warum auch die Insider den Glauben oft so wenig umsetzen.
An dieser Stelle interpretiert Markus.
Und das mit weit reichenden Folgen, die sich über Jahrhunderte hinweg auswirkten.
Markus denkt sich:
Wenn so viele Menschen das Evangelium nicht verstehen, wenn es sogar richtige Gegner gibt, dann muss das zu Gottes Plan gehören.
Dann ist das Evangelium vielleicht gar nicht an alle gerichtet, zumindest noch nicht.
Dann ist es ein Geheimnis, das bestimmt ist für die Eingeweihten.
Und weil es damals, als Markus das alles schrieb, noch kein Urheberrecht gab, legt er diese Gedanken Jesus in den Mund – was zu jener Zeit ein durchaus normales Vorgehen war.
Markus bettet das in das Gleichnis von der 4-fachen Saat ein.
Jesus erzählt das Gleichnis, die Jünger fragen, was das denn bedeuten soll, und Jesus antwortet:
„Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes gegeben.
Denen aber draußen widerfährt alles in Gleichnissen, damit sie es mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen, und mit hörenden Ohren hören und doch nicht verstehen.
Damit sie sich nicht etwa bekehren und ihnen vergeben werde!“ (4, 10 – 12)
Man hört richtig die Fortsetzung:
„Diese Dumpfbacken.
Sie verfolgen uns Christen, sie sind unsere Gegner.
Sie sollen gar nichts verstehen, damit ihnen nicht etwa vergeben werde.
Diesen Blödmännern.“
Oder so ähnlich.
Interessant ist, dass Markus selbst merkt, dass seine Interpretation nicht so ganz stimmen kann.
Denn im Folgenden sind es ja auch und vielleicht sogar gerade die Jünger, die nichts verstehen von dem, was Jesus sagt.
Und direkt im Anschluss an die Erklärung des Gleichnisses von der 4-fachen Saat sagt Jesus:
„Zündet man etwa ein Licht an, um es unter einen Scheffel zu stellen?
Keineswegs, denn es ist nichts geheim, was nicht an den Tag kommen soll“ (4, 22)
Und schon im nächsten Gleichnis steht deutlich, warum Jesus wirklich in Gleichnissen spricht.
Da schreibt Markus nämlich:
„Und durch viele solche Gleichnisse sagte er Ihnen das Wort so, wie sie es zu verstehen vermochten“ (4, 33)
Auf diesen Vers ist man allerdings erst vor etwa 100 Jahren so richtig gestoßen.
Bis dahin hat man fast 1900 Jahre lang immer nach dem Geheimnis gesucht:
Was will Jesus uns wirklich sagen?
„Du sollst deine Feinde lieben“?
Das kann er so nicht gemeint haben.
Da steckt bestimmt ein Geheimnis dahinter, ein verborgener Wink Gottes, den nur besonders eingeweihte Priester verstehen können.
Die Folge war, dass häufig genau das passierte, was Markus vermeiden wollte und was er den jüdischen Glaubens-Insidern vorwarf:
Dass sie sich nämlich ihr eigenes Gesetz machten und nicht auf Gottes Gebot hörten.
Immer mit dem Argument:
Das kann er so nicht gemeint haben.
Da steckt eine geheime Botschaft dahinter.
Es passt jedenfalls gut zusammen.
Jesus sagt seinen Jüngern im 8. Kapitel des Mk-Evangeliums:
„Begreift ihr es denn immer noch nicht?
Habt ihr immer noch ein verhärtetes Herz in euch?“ (8,17)
Aber dann endet das 8. Kapitel so:
Auf dem Weg fragte Jesus seine Jünger:
„Was sagen die Leute, dass ich sei?“
Sie antworteten ihm:
„Einige sagen, du seist Johannes der Täufer.
Einige sagen, du seist Elia.
Und andere, du seist einer der Propheten.“
Und er fragte sie:
„Ihr aber, wer sagt ihr, dass ich sei?“
Da antwortete Petrus:
„Du bist der Christus!“ (8, 27 – 29)
Diesen Text nennt man das Petrus-Bekenntnis.
Er beschreibt eine zentrale Wende:
Vorher hatte Petrus ein „verhärtetes Herz“.
Jetzt hat er es kapiert
„Kehrt um und vertraut auf das Evangelium“.
Jetzt kann Petrus vertrauen.
Jetzt kann er umkehren und wirklich nachfolgen.
Er kann sein Verhalten und sein bisheriges Leben in Frage stellen.
Er kann erkennen, was für ihn wirklich wichtig ist.
Petrus hatte sich lange um diese Erkenntnis bemüht.
Er wollte Jesus nachfolgen, er hat es ja sogar wortwörtlich getan und ist ihm als Jünger hinterher gelaufen.
Er hat die Gleichnisse gehört, die Wunder erlebt – und hatte es doch nicht kapiert.
Erst jetzt kann er aus vollem Herzen bekennen:
Du bist der Christus!
Das auszusprechen, veränderte ihn.
Mit diesem Bekenntnis entwickelte er sich weiter.
Jetzt wurde er ein Jünger
Jetzt wurde er das, was alle Christinnen und Christen werden sollen:
Ein Nachfolger.
Ich möchte mit Ihnen beten.